Falvy Zoltán: Drei Reimoffizien aus Ungarn und ihre Musik - Musicologia Hungarica. N. F. 2. (Budapest, 1968)
Das Reimoffizium, in dem sich die mittelalterliche Dichtkunst — etwa am Beginn der Gattung mit Hucbald, auf ihrem Höhepunkt im 13. Jahrhundert mit Julian von Speyer — teilweise so glänzend entfaltete, fiel, wie so vieles an mittelalterlicher geistlicher Dichtung, dem Verbot des Tridentinums zum Opfer und überlebte nur in kleinen Resten im Franziskanerbrevier (dieser Orden hatte etwa 770 solcher Reimoffizien) und im Dominikanerbrevier. Im Reimoffizium wird der Stoff eines Offiziums über einen vollen Tag hinweg auf die jeweiligen Gottesdienste und Stundengebete verteilt, so daß die Gottesdienste dieses Tages als ein sorgfältig gegliedertes, in sich geschlossenes und abgerundetes Ganzes erscheinen, als ein liturgisches Tages- und Stundengebet, in dem nicht nur die eingelegten Hymnen, sondern auch sämtliche Antiphonen und Responsorien in Reimform gebracht sind. Lediglich die Psalmen und Lektionen bleiben unverändert. Seit dem Beginn der Heiligsprechnungen, deren erste (Ulrich von Augsburg) 993 stattfand, wurde die Tendenz sichtbar, den Tag des Heiligen mit einer Reimfassung seiner Lebens- oder Leidensgeschichte beziehungsweise mit der Aufzählung seiner Taten und Wunder eben in der Form des Reimoffiziums auf die Gottesdienste des Tages verteilt zu begehen. Dabei ist eine Priorität einzelner Länder nicht feststellbar. Wenn auch in Deutschland und Frankreich die Quellen besonders reichlich sind, Italien dagegen wenig beteiligt erscheint, so ist Ungarn doch auch schon in früher Zeit sehr maßgeblich beteiligt. Zu den bedeutendsten derartigen Werken gehören die Reimoffizien zu Ehren dreier ungarischer Fürsten aus dem 11. Jahrhundert: Stephan (erster König von Ungarn, gestorben 1038, kanonisiert 1083), Emmerich (Sohn Stephans, gestorben 1031, kanonisiert 1083) und Ladislaus (König von Ungarn 1077—1097, kanonisiert 1192). Ihre Geschichte sowohl hinsichtlich der Entstehung der Texte (nach damaligem Brauch oft aus Reimoffizien anderer Heiliger kompiliert) als auch der Melodien (die ähnlich wie die Texte behandelt wurden und zudem in zahlreichen Varianten existieren) wird im vorliegenden Band ausführlich dargestellt. Sie erweisen sich großenteils als spezieller ungarischer Beitrag zur Musikkultur Europas, ähnlich, wie dies im ersten Band unserer Reihe (siehe hintere Umschlagklappe) für den Lautenvirtuosen Valentin Bakfark gilt, dessen Einfluß weit über Ungarn und Polen als seine Hauptwirkungsstätten hinausging.