Gunst Péter: Die bäuerliche Gesellschaft Ungarns in der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen - Studia historica Academiae Scientiarum Hungaricae 192. (Budapest, 1991)

III. Die bäuerliche Lebensform in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

III. DIE BÄUERLICHE LEBENSFORM 219 im allgemeinen zur normalen Einrichtung, auch in den Haushalten der ärmsten Schichten gab es einen Katechismus, bei den auch nur in geringem Maße in ausgewogenen wirtschaftlichen Verhältnissen lebenden Bauern die Bibel. Darüber hinaus existierte eine eigene Bibliothek (so gering die Zahl der Bücher auch sein mag) nur in einigen reichen Bauernfamilien oder nicht einmal dort. Diese hatte in erster Linie selbstverständliche materielle Gründe, obwohl das bei einzelnen Schichten nicht einzig und allein ausschlaggebend war, da - wie Péter Veres 1936 festgestellt hatte - das Dorf kaum las, und selbst wer las, kaum ein Buch kaufte. Auch derjenige liest zwar das Buch, kauft es aber nicht, der häufig für andere Zwecke viel mehr Geld ausgab als es der Preis eines Buches ausmachen würde.216 Doch die Masse der armen Bauern las generell keine Bücher, höchstens im Lesezir­kel die Zeitung. Das zeitgenössische Verlagswesen betrachtete bereits 3 000 Exem­plare eines Buches als ein gutes Ergebnis, in höherer Auflage erschienen nur die Bestseller. Die Schichten der reichen Bauern kamen im Kasino an das heran, was sie lesen wollten, in erster Linie vielleicht an die Fachbücher. Ebenso lasen die Schichten der ärmeren Bauern die Fachliteratur im Leseverein.217 Es wäre interessant, einen Einblick in den Bestand jeweils einer dörflichen Volksbibliothek zu gewinnen. Was wir hierüber wissen, das bestätigt, daß der Geschmack der Bauern auf dem Gebiet der Belletristik recht konservativ war. Mór Jókai, Géza Gárdonyi, Gereben Vas, Lenke Bajza-Beniczky waren die gefragte­sten, außer ihnen Kálmán Mikszáth, István Tömörkény, Sándor Bródy, Ferenc Herczeg, unter den ausländischen Schriftstellern Dumas und Courths-Mahler, und von der neuen Generation ungarischer Schriftsteller Lajos Zilahy. In den Siedlun­gen mit demokratischer Athmopshäre spiegelte auch die Zusammensetzung des Buchbestandes diese Demokratie wider,218 während dort, wo auch die Buchbe­schaffung in den Händen des Amtsapparates lag, die Zusammensetzung des Buch­bestandes eher den Geschmack der Beamten widerspiegelte.219 Das Interesse der 216 Aus dem Jahre 1936 stammende Artikel von Veres, Péter: A falu és a könyv (Das Dorf und das Buch). Neuerdings publiziert in: A könyv és a könyvtár a magyar társadalom életében (Das Buch und die Bibliothek im Leben der ungarischen Gesellschaft). Bd. II, 1848-1945. Zusammengestellt von M. Kovács, Budapest 1970, S. 416-419. 217 Földes, Ferenc: a.a.O. S. 76-79. 218 Eine solche war z. B. die von Péter Veres betreute Bibliothek in Balmazújváros (vgl. Veres, Péter: Számadás (Rechenschaft). Budapest 1963, S. 22) oder die Bibliothek in Makó, die Géza Féja beschreibt (Féja, Géza: Viharsarok [Das Gebiet Viharsarok], Budapest 1957, S. 267-268). Einige gute Bibliotheken in Marktflecken beschreibt Radó, István: Vidéki közkönyvtár (öffentliche Bibliotheken in der Provinz). Magyar Könyvszemle 1940, S. 55-64. 219 Ein gutes Beispiel dafür, was es bedeutet, wenn sich die Bürokratie mit der Bibliothek befaßt, ist Felsö-Galla, wo die Bibliothek im Gemeindehaus (!) untergebracht worden war und nur einmal in der Woche, Donnerstag vormittags, zwischen 11°° uns 12°° Uhr, entliehen werden konnte, also während der Arbeitszeit. Bárdos, László István: A tatai járás könyvtárügye az 1930-as években és 25 évvel később (Das Bibliothekswesen im Kreis Tata in den dreißiger Jahren und 25 Jahre später). A József Attila megyei könyvtár Évkönyve 1952-1961, Tatabánya 1962, S. 221.

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