Heckenast Gusztáv (szerk.): Aus der Geschichte der ostmitteleuropäischen Bauernbewegungen im 16-17. Jahrhundert (Budapest, 1977)

Sektion Ideologiegeschichte

unter der Behandlung ihrer Stiefmutter zu leiden haben und an das Grab ihrer Mutter gehen, um ihr Schicksal zu beklagen. Überall werden die Lasten des einzelnen, die Hindernisse, die sich seiner Liebe in den Weg stellen, die erzwungene, schlechte Ehe, die Großfamilie, die Schranken der Klasse gezeigt, werden die Gefühle, die Leiden­schaften und die seelischen Zustände des Menschen geschildert. Die Ansprüche, das Emporstreben der Gesellschaft verrät der Umstand, daß sie die Helden ihrer Dichtung von der Spitze der Gesellschaft, aus der adligen Gesellschaft wählt. Die Namen, die nachweislich bei keinem Volk mit der geschichtlichen Rolle ihrer Träger in Verbindung stehen, sind überall Namen der vornehmsten Familien, von Königen und Fürsten. Auch die charakteristischsten und sichtbarsten Äußerlichkeiten des adligen Lebens sind zu finden: Hochzeitszüge mit Kutsche, begleitet von Reiterzü­gen mit wehenden Fahnen und Trommelwirbel, in den Fenstern Frauen und Mädchen, die Seide mit Gold- und Silberfäden besticken, zum Scheiterhaufen verurteilte oder an den Pferdeschwanz gebundene Familienmitglieder und ähnliche adlige „Charakteri­stika“. Das Ereignis selbst aber bringt nie das wirkliche adlige Leben zum Ausdruck, sondern allgemein menschliche — familiäre, seelische — Probleme in abstrakt-typischer Darstellung. Die Tatsache jedoch, daß die Liebe, die Gesellschaftsschranken und Klassenunterschiede überwindet — selbst wenn sie tragisch endet —, vorstellbar wird wie Márton Gyulafi in der Ballade „Die zwei Kapellemosen“, „Liebe zum Diener“ oder die Namenlosen im „Heiratenden Prinzen“ und in der „Tochter des Heidenkönigs“, das zeugt bereits von den Ansprüchen, von der Verurteilung der Klassenschranken. Dies alles entspricht der Entwicklung, die die Historiker bei uns und im Westen Europas von der Bauernschaft des 14.—15. Jahrhunderts berichten. Durch die ent­wickelten Produktionsmethoden zeigen sich bei den Bauern Warenfülle und Geldwirt­schaft, bei einer kleinen, reich gewordenen Oberschicht erscheinen adlige Kleidung und Einrichtungsgegenstände und zur gleichen Zeit lassen sich verschärfte wirtschaftliche Unterschiede und Massengegensätze innerhalb der Bauernschaft feststellen, und überall in Europa beginnt die Auflösung der Großfamilie. Das Bedürfnis der Bauern, emporzu­steigen, die Verurteilung der ungerechten Klassenunterschiede und wirtschaftlichen Unterschiede sind der charakteristische Zug, der auf die Ideologie der Bauern am Ende des Mittelalters schließen läßt und die diese Dichtung mit der revolutionären Haltung der Bauern in Verbindung bringt, die zum Bauernaufstand von Antal Budai Nagy (1437), zur Rebellion der bei Nándorfehérvár siegreichen Bauern (1456) und schließ­lich 1514 zum Bauernaufstand unter Dózsa geführt hat. Diese Dichtung lebt unverändert nicht nur im 16. Jahrhundert, sondern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts, was andeutet, daß die darin aufgeworfenen Probleme für die Bauern auch weiterhin aktuell waren. Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts erscheint daneben die Betyaren­­dichtung, das durch den Zwang der Umstände zum Räuber gewordene einsame Individuum, das sich gegen die Reichen und die Machtorganisation wendet. Die ersten Stücke können noch nicht als Balladen bezeichnet werden, sie sind eher Kolportage­produkte oder Stücke, die individuelle Geschehnisse im einzelnen schildern. Zwischen 1849 und 1873 nahm die Betyarenwelt große Ausmaße an und verschmolz mit dem nationalen Widerstand, so daß zu dieser Zeit die „klassische“ Meinung der Bauern über die Betyaren in den mit dichterischer Kraft abgefaßten Betyarenballaden ihren Nieder-270

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